Mittwoch, 2. Juli 2008

Kommentar Zum Zustand der Sozialdemokratie III: Eine Direktvergabe und ein Teilabriss.

herrlich auf den punkt gebracht und einige gründe warum ich in wien politisch arbeite...

"Falter" Nr. 27/08 vom 02.07.2008 Seite: 6
Von: Dietmar Steiner
Verweigerte Moderne
Was ist eine wirklich seltene Stadt? Eine Stadt ohne Brücke von Santiago Calatrava. Rund 30 andere Städte haben schon eine. Planungsstadtrat Rudolf Schicker hat nun entschieden, auch Wien mit einem Kitschmonster des spanischen Architekten Calatrava zu verschönern, jenes Zauberers, den alle, die keine Ahnung von Architektur und Konstruktion haben, für einen genialen Architekten
halten. Aber es ist keine wirkliche Katastrophe. Wien hält das aus. Die Wiener wird's freuen, Stadtrat Schicker wird sich ihrer mehrheitlichen Zustimmung erfreuen dürfen, wenn einmal Calatravas Brücken-"Skulptur" die Triester Straße markiert. Und ein eloquenter Kunsthistoriker, Wilfried Seipel vielleicht, der
seine überflüssige Calatrava-Vogelkadaver-Schau im Kunsthistorischen Museum einst damit begründete, er habe diese nur gemacht, weil das Architekturzentrum Wien diesem "Genie" nicht den nötigen unterwürfigen Tribut zu zollen bereit gewesen sei, wird dann möglicherweise sogar eine kunsthistorische Verbindung
von Calatravas Brücke zur Spinnerin am Kreuz herstellen können. Stichwort: "Neoneogotik" im elaborierten Las-Vegas-Stil.

Es spielt auch keine Rolle, jedenfalls will ich nicht beurteilen, ob die Direktvergabe an Calatrava rechtens ist oder nicht. Es würde mich aber wundern, wenn die Stadt Wien nicht intelligent genug wäre, wie schon bei der letztlich geglückten Wiener Messe oder dem katastrophalen Pratereingang, irgendeine "von der Stadt unabhängige" Institution oder Firma vorzuschalten, die dann die Verantwortung für zu erwartende Kostenexplosionen und Konkurse
übernimmt. Schließlich hat die nicht einmal behindertengerechte neue Fußgängerbrücke Calatravas in Venedig schlicht das Doppelte des veranschlagten Budgets verschlungen. Und seine Fußgängerbrücke in Bilbao musste umgebaut werden, weil einfach zu viele Unfälle stattfanden. Calatravas Klage gegen die Stadt Bilbao auf Unveränderbarkeit seines "Kunstwerks" wurde vom Gericht kühl abgewiesen: Eine Brücke ist kein Kunstwerk. Es ist also wohl nur in Wien eine "Kunst", eine Brücke zu bauen. Aber vielleicht sollte Schicker aus einem Gespräch des Architekten Jacques Herzog mit dem chinesischen Künstler Ai Wei Wei zitieren: Architektur ist die Bewegung vom Nutzlosen zum Nützlichen und Kunst die Bewegung vom Nützlichen zum Nutzlosen.

Die eigentliche kulturpolitische, stadtplanerische und architektonische Katastrophe ist aber, dass die Stadt Wien gleichzeitig mit der Beauftragung der Calatrava-Brücke einem ökonomisch nicht begründbaren Teilabriss der "Stadt des Kindes" von Anton Schweighofer zustimmt. Für jene, die es noch nicht
wissen: Die "Stadt des Kindes" machte sich die Stadt Wien selbst zum Geschenk, um anlässlich des 50. Geburtstages der Republik 1969 bis 1974 an der westlichen Wiener Stadteinfahrt ein Ensemble zu errichten, das die Idee der Kinderdörfer in eine urbane Struktur zu übersetzen hatte. Schweighofers Konzept der "Stadt in der Stadt" wurde zu einem international gefeierten
Beispiel der Architektur und ist heute ein sichtlich verdrängtes
kulturpolitisches Symbol für eine mutige sozialpolitische Vision der Wiener Sozialdemokratie. 2002 wurde das Heim geschlossen und in einer Ausschreibung nach neuen Nutzungen gesucht. Nach einer folgenden komplizierten Planungsgeschichte gibt es heute von den Architekten Stelzhammer, Lindner, Weber ein überzeugendes und intelligentes Konzept und einen Entwurf der
Neunutzung der "Stadt des Kindes" für geförderte Wohnungen unter Wahrung der bedeutenden historischen Konzeption. Es könnte so ein Pilotprojekt für die komplexe und schwierige Aufgabe der Sanierung der Nachkriegsmoderne werden,
eine der wichtigsten Aufgaben zeitgenössischer Architektur.

Doch trotz aller Unterstützungen von Wohnbaustadtrat Ludwig und der Wohnbauförderung liegen die Kalkulationen des Bauträgers noch immer um fünf Prozent (!) über den förderbaren Kosten, weshalb drei der fünf Wohnhäuser der "Stadt des Kindes" abgerissen und neu gebaut werden sollen. Und warum? Weil die "Stadt des Kindes" auch Sozial- und Kultureinrichtungen wie ein Schwimmbad und einen Mehrzwecksaal beinhaltet, die aufwendig wiederhergestellt und dem ganzen Bezirk zu Recht zur Verfügung gestellt werden sollen. Warum diese Kosten in der Summe der Sanierung und des Neubaus der Wohnbauten untergebracht
und letztlich von den künftigen Bewohnern bezahlt werden sollen, ist nicht nachvollziehbar. Denn eigentlich ist dafür in Wien Stadträtin Laska und nicht der Wohnbaustadtrat zuständig. Natürlich haben, scheinbar, der jenseitige Pratereingang, die kitschige Calatrava-Brücke und die immer noch mögliche
Rettung der "Stadt des Kindes" mit einem zukunftsweisenden architektonischen Konzept nichts miteinander zu tun. Ideologisch aber sehr wohl. All das zeigt tiefstes provinzielles Kulturbewusstsein, das sich keinen Zentimeter mehr vom
Boulevard erheben will. Die Stadt Wien opfert ein einzigartiges
sozialpolitisches Symbolbauwerk ihrer eigenen Nachkriegsgeschichte aufgrund von derzeit fünf Prozent erwartbaren Mehrkosten zugunsten unkalkulierbarer
populistischer Spektakel. Es ist höchste Zeit, dass sich die Wiener
Sozialdemokratie ihrer eigenen kulturellen und ideologischen Wurzeln besinnt. Oder findet nach dem Austrofaschismus, dem Nationalsozialismus nun eine heutige neuerliche Vertreibung oder Verweigerung der emanzipatorischen Moderne durch die Sozialdemokratie selbst statt ? Das Schicksal der "Stadt des Kindes" ist somit keine ökonomische, keine architekturhistorische, es ist eine politische Frage, an der sich die Wiener Stadtpolitik messen wird müssen.

Dietmar Steiner ist Direktor des Architektur Zentrums Wien.
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